Ihre Mutter Johanne war eine streitbare Frau, die gern den Passanten von ihrem Wohnzimmerfenster aus erzählte, was die Nazis schon wieder verbrochen hatten, denn sie hörte die verbotenen Feindsender auf Englisch und Französisch. Das konnte sie, weil ihr Mann als Elektromeister und gelernter Radiotechniker einen Empfänger gebastelt hatte. Manchmal versteckte sie auch gefährdete Leute und gefährdete damit sich und ihre Familie. Wie gut, dass der Blockwart ein alter Freund der Familie war.Wenn eine Razzia kam, gab er Vorwarnung, und es wurde nie jemand erwischt.
Aber mit der Zeit wurde die Situation immer gefährlicher, und Elfriedes Arbeit immer ungeliebter. Ihr Bruder war schon bei der Luftwaffe eingezogen und auf dem Weg zum Offizier: Das war ein guter Punkt für die Familie, aber nicht genug, um die Mutter dauerhaft sicherzustellen: Die Familie hat von 1933 bis 45 gebibbert.Um ihrer Firma zu entgehen, und weil es gut aussah, hat sich Elfriede schliesslich zum FLUKO gemeldet.
Der Vater musste als hochqualifizierter Handwerker zur Schutz-Abteilung (SA), die an der Heimatfront nach dem Rechten zu sehen hatte. Sie wurde bei den späteren Bombenangriffen zur Brandbekämfung, den Reparaturen am Strom-und Wassernetz usw. in verschiedenen Städten eingestzt. Er kam daher gegen Kriegsende in Freiburg in französische Gefangenschaft. Aber das ist wieder eine andere Geschichte…
Im Mai 1940 begann der Feldzug nach Frankreich, nach dessen Abschluss die Luftwaffe für dorthin Nachrichtenhelferinnen suchte. Elfriede und ihre FLUKO –Kameradin Martl fanden das gut: Es war ja ohnehin (fast) kein Krieg mehr, und man konnte ins Ausland!
Die beiden kamen nach Rennes in der Bretagne. Dort waren sie in einem komfortablen Heim untergebracht, mit netten Zimmern, Terrasse und Park. Natürlich von Soldaten bewacht und von den Einheimischen nicht gern gesehen, aber man konnte doch mal einen Stadtbummel machen.
Elfriede hatte einer alten Dame von Stand Grüsse vom deutschen Teil ihrer Familie zu überbringen, sie wohnte im Stadtzentrum beim Botanischen Garten. Den mussten die Mädchen auf dem Hin- und Rückweg zum Dienst ohnehin durchqueren, ein paarmal waren sie zum Tee eingeladen, aber im Grossen und Ganzen war die Freizeit mit immer den gleichen Gesichtern ein bisschen langweilig.
Da beschloss Elfriede eines Tages, sich ein Paar neue Handschuhe zu kaufen, denn ohne Handschuhe ging die Dame nicht aus. Das hat sie übrigens Zeit ihres Lebens so gehalten. Sie ging in ein Geschäft, das modische Accessoires verkaufte, und wurde hinter dem Ladentisch von einem anderen jungen Mädchen empfangen, das ausgezeichnet Deutsch sprach. Die Mädchen gefielen sich auf Anhieb, Martl machte ebenfalls die Bekanntschaft der jungen Französin, deren Familie Rennes bei der Ankunft der Deutschen verlassen hatte.
Colette, so hiess sie, war ein bisschen allein, der Vater kam nur einmal pro Woche, um nach ihr und dem Geschäft zu sehen. Bald waren die drei Mädchen öfter zusammen, Colette wurde auch manchmal zum Tischtennisspielen, oder zu Musik- und Theateraufführungen ins Heim eingeladen.
Elfriede und Colette wurden Freundinnen, und wie junge Mädchen zu tun pflegen, sprachen sie von später, vom Heiraten und Kinderkriegen, “wenn alles wieder vorbei ist”. Und sie versprachen sich gegenseitig, ihrer ersten Tochter den Vornamen der Freundin zu geben.
Aber noch war Krieg. Die Resistance wurde aktiv. Im Heim brach Typhus aus, schuld soll der französische Koch gewesen sein, der Resistancemitglied war. Die deutschen Mädchen sassen in Quarantäne, zwei von ihnen starben.
Die deutsch-französische Freundschaft war beobachtet worden, eine Bombe explodierte in Colettes Geschäft, sie musste Rennes verlassen. Eimal noch konnte sie Elfriede ein Briefchen zuschmuggeln, es existiert noch heute.
1944 kam die Invasion, der Rückkzug der Deutschen : Doch das gibt natürlich…. eine andere Geschichte.
Elfriede kam auf einigen Umwegen und nach Gefangenschaft bei den Amerikanern wieder nach Hause. Sie pflegte ihre Mutter, die unterdessen an Tuberkulose erkrankt war, bis zu deren Tod im August 1946; im Sanatorium war “für die alte Frau kein Platz”.
Im Herbst 1946 veranstaltete die Tanzschule Helm wieder die ersten Tanztees und an Silvester sogar einen Ball. Elfriede wurde von Freundin Martl energisch mitgezogen, sie lernte Helmut, einen sehr guten Tänzer, kennen, und an Silvester hat es dann gefunkt: Elfriede und Helmut wurden ein Paar.
Sie heirateten auf Elfriedes Wunsch im Dezember 1947, an Johannes Geburtstag. Im Juni wurde ihre Tochter nach acht Monaten Schwangerschaft am Stichtag vor der Wärungsreform geboren. Warum Stichtag? Weil alle an diesem Tag vor Mitternacht schon geborenen Personen ein Kopfgeld von 40 DM erhielten: Ich erschien um 18 Uhr 30.
Ach so, ja: Elfriede und Helmut waren meine Eltern, und meine Geburt der einzige Moment, wo ich mich mathematisch begabt zeigte. Colette wurde ich genannt, weil für meine Mutter ein Versprechen eben ein Versprechen war.
Sie hat durch das Rote Kreuz zwei Jahre lang nach Freundin Colette suchen lassen, ohne Erfolg. Mit der Zeit kam sie zu der Überzeugung, dass Colette und Familie “durch ihre Schuld” etwas Schreckliches widerfahren sei. Schliesslich hat sie die ganze Sache verdrängt, soger Colettes Nachnamen hatte sie angeblich vergessen.
Doch die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende, im Gegenteil : Aber auf das zweite Kapitel werden Sie noch ein wenig warten müssen…