Nachdem in der Geschichte über den 8. Mai 1945 die Amerikaner ziemlich schlecht weg kamen, hier nun etwas viel Netteres über “die Besatzer”.

Mamas Bruder Heinrich, genannt Heini, hatte sich 1939 zu Weihnachten verlobt. Die Erkorene war Lotte, Eis- und Rollschuhläuferin, Schiedsrichterin und Gründungsmitglied des MERC (Mannheimer Eis- und Rollsportclub). Elfriede, meine Mutter, lief dort auch, ihr Vater, der “Papa Lenz”, auch Gründungsmitglied, war als Schiedsrichter und Stoppuhrmann aktiv. So kam diese Verbindung eben zustande.

Mamas Bruder Heinrich, genannt Heini, hatte sich 1939 zu Weihnachten verlobt. Die Erkorene war Lotte, Eis- und Rollschuhläuferin, Schiedsrichterin und Gründungsmitglied des MERC (Mannheimer Eis- und Rollsportclub). Elfriede, meine Mutter, lief dort auch, ihr Vater, der “Papa Lenz”, auch Gründungsmitglied, war als Schiedsrichter und Stoppuhrmann aktiv. So kam diese Verbindung eben zustande.

Im Krieg warHeini bei den Fliegern, Bordfunker. Am 20.Mai 1940 stürzte sein Flugzeug kurz nach dem Start ab.Er selbst wurde nur verwundet, aber er sah seine Kameraden sterben, ohne Hilfe leisten zu können. Davon bleibt natürlich so Einiges in der Psyche hängen, er wollte keine Frau an sich binden, aber 1942 heirateten die beiden doch. Später war Heini mit Rommel in Afrika, Truppen- und Verwundetentransport mit “Tante Ju”(Ju 52). Aber am 14. Februar 1945 war er einen Tag auf Urlaub zu Hause: Im November 45 kam prompt Tochter Hannelotte zur Welt, in der Hedwigsklinik in Mannheim, die Wohnung war in Neuostheim. An Straβenbahn oder gar Taxi war natürlich nicht zu denken. Hinzu hatten sie es zu Fuβ geschafft, aber zu Fuβ mit dem Baby nach Neuostheim hinaus? Nach einer Zangengeburt? Da war guter Rat teuer.Der Rat kam dann aus einer ganz unvermuteten Ecke.

Heini hatte bei den Amerikanern die Bekanntschaft eines deutschstämmigen Soldaten gemacht. Als er diesem von seinem Dilemma erzählte, brachte der Charlie ins Spiel. Charlie war der Oberkoch in der naheliegenden Ami-Kaserene, und Charlie verfügte über den Küchenjeep! Das Problem war nur: Zivilisten durften in Militärfahrzeugen nicht befördert werden, darauf stand strenge Strafe. Aber als Charlie hörte, was los war, ging er das Risiko trotzdem ein. Nein, “the poor little baby”, es musste einfach gehen! Er fuhr mit Heini zur Klinik, sprang aus dem Jeep, stürmte ins Gebäude und rief durch die Gänge: “Where is my baby? I want my baby!”, was einigermaβen Aufsehen erregte, denn Charlie war schwarz!! Heini musste erst mal alles erklären, und dann wurden Lotte und Tochter unter der neugierig-entsetzten Anteilnahme des Publikums im Jeep verstaut und, mit Heini auf der Ladefläche, nach Hause gefahren.

Seitdem kam Charlie oft nach dem Dienst zu Heini und Lotte, die inzwischen ein kleines Fotogeschäft aufgemacht hatten, aber auch zu Papa Lenz und Johanne. Er war ein schrecklich netter Kerl, der aber bei seinen Landsleuten keinen rechten Anschluβ fand, denn Charlie hatte, für damalige Verhältnisse wenigstens, zwei Fehler: Er war nicht “echt” schwarz, sondern rot-schwarz gemischt, denn seine Mutter war eine Indianerin. Eine Frau mit Bildung, sie war High School-Lehrerin, aber sie hatte einen Schwarzen geheiratet! Bei Karl May (oder einem anderen einschlägigen Schriftsteller) habe ich mal gelesen, dass “die Weiβen die Indianer, die wieder die Schwarzen, sie alle zusammen aber die Mestizen verachteten”. Und so ging es eben Charlie. Sein zweiter Fehler: Er war gay, was die Sache nicht eben leichter machte.

Eines Tages brachte er Ebi mit, der bei ihm in der Küche arbeitete. Der war Thüringer, Kriegsgefangener bei den Amerikanern, die ihn auch gerne entlassen hätten. Dazu brauchte Ebi aber eine Adresse im Westen, denn in das russisch besetzte Ostdeutschland entlieβen die Alliierten keine Kriegsgefangenen mehr. Ergo wurde er “Lehrling” bei Heini.

Charlie war noch zu Anfang der 50er Jahre ein festes Familienmitglied, denn ich (1948 geboren), kann mich noch aus dieser Zeit sehr gut an ihn erinnern. Hanno, das war Hannelottes Rufname (in Norddeutschland für Jungen reserviert, ich weiss, aber die “Buddenbrooks” hatte meine Familie vielleicht damals noch nicht gelesen!), Hanno also, war sein erklärter Liebling. “Schatzibum”war ihr Kosename: Viel zu kompliziert für Charlies Zunge, er machte daraus “Putzibam”, und hat sie zeitlebens, auch in seinen Briefen, so genannt.

Charlie kam oft zum Abendessen zu uns, d.h. zu Papa Lenz (mein Groβvater), in dessen Wohnung sein Schwiegervater (Vatterle), meine Eltern und ich mit lebten. Wir saβen dann alle, oft auch mit Heini, Lotte, Ebi und Hanno um den groβen Auβziehtisch am Kachelofen. Es war ein riesiger, gelb gekachelter Ofen, der vom Schlafzimmer aus geheizt wurde, und im Wohnzimmer eine Ofenbank besaβ, auf der drei Leute bequem Platz fanden.Dort saβen das Vatterle, ich und meine Mutter. Neben Vatterle, am oberen Ende, hatte der Ander, pardon: Papa Lenz seinen Platz. (Warum er der “Ander” heiβt, ist natürlich wieder eine andere Geschichte!). Am unteren Ende saβ mein Vater, und die anderen quetschten sich eben hin, wo sie konnten. Na ja, alle waren sie auch nicht immer zum Essen da, aber zwei, drei Mal die Woche, kamen sie anschlieβend, zum Klönen.

Aber wenn Charlie kam, saβ er auf meines Vaters Platz. Er aβ schrecklich gerne Pfälzer Leberwurst, aber das Höchste der Gefühle war Schwarzbrot mit Erdnussbutter und Ölsardinen, garniert mit – Erdbeermarmelade!!! Vermutlich Ketchupersatz, aber meiner Familie drehte sich noch Jahre später der Magen um, wenn mal wieder über Charlies Vorlieben geredet wurde. Meine Mutter aβ zwar auch gerne Erdnussbutter, auch gern mit Marmelade, am liebsten mit Johannisbeergelee, aber sie lieβ wenigstens die Ölsardinen weg… ( A propos Mama: Sie hat mir mal erzählt, daβ Charlie sie, vor ihrer Heirat, platonisch angebetet und ihr sehr schöne Briefe und Gedichte auf Englisch geschrieben habe.)

Dann muβte Charlie zurück in die Staaten, wo er als Koch in verschiedenen Stellungen arbeitete. Er beschloss seine Karriere als Butler des Ex-Gouverneurs von Delaware, und, als dieser gestorben war, arbeitete ernoch in der Stadtverwaltung von Dover/Delaware und kümmerte sich um die alte “Gouverneurin”. Er besaβ ein nettes eigenes Haus mit Garten, und flog alle par Jahre nach Europa zu Besuch bei Ebi. Auf einem seiner Flüge benutzte er als erster Passagier aus Dover die Concorde, und sein Photo mit Blumenstrauβ kam in die örtlichen Zeitungen. Er hat uns auch Geschenke geschickt: Himmel, die Ohrringe für Mama! Riesige himmelblaue “Saphire” mit “Perlen”, in einer Montur wie für Marie-Antoinette: farbenfroh und kitschig wie eben Hollywood in den Fünfzigern. Sahen aber richtig gut aus, als ich mit neun im Karneval mal Rokokodame spielte.

Zum letzten Mal habe ich Charlie gesehen, als ich 15 war. Er war mal wieder auf Besuch: Da gab es eine Party bei Onkel Heini in der Diele mit der neuen, selbstgebauten Bar. Es wurden unzählige kalte Platten zubereitet und mit Radieschen, Gürkchen und anderem recht bunt verziert. Unter “anderem” waren auch kleine rote Pepperoni, die mein Onkel entzückt entdeckte. “Haben wir im Krieg in Ungarn gegessen, einfach so aus der Hand, reingebissen und” – und… Ich habe noch nie (und nie wieder) in meinem Leben einen Menschen so brüllen gehört! Mein Onkel war so eine Art “Normannischer Kleiderschrank” mit dem dazugehörigen Brustkasten: Da war einiges an Stimme drin! Er muss dann die Wasserleitung leergetrunken haben, denn er blieb ziemlich lange im Badezimmer. Wir anderen waren aber hinterher mindestens genauso erschöpft wie er, bloβ waren wir’s vom Lachen…

Charlie kam später noch manchmal Ebi besuchen, uns anderen schrieb er treu und brav mindestens zu Weihnachten, auf seiner Schreibmaschine mit den kuriosen Zeichen, die wie Schreibschrift aussahen. Seinen letzten Brief habe ich etwa 1990 in Marseille erhalten, da war er circa 83, und darin sprach er immer noch von seinem “dear Hinie”(obwohl er diesem, mangels Englisch, kaum Post bekam) und von “my Putzibam”.

Wenn das nicht Freundschaft war!

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