Wie ich ihn bekam, das wissen Sie ja nun, aber!… Ich musste ihn ja auch tragen. Und das war manchmal nicht so ganz einfach, denn in Deutschland klang er damals reichlich exotisch.

Heutzutage ist man in dieser Beziehung natürlich Einiges gewöhnt, aber in der Generation der Inges, Heides und Monikas, hat man sozusagen nach einer phonetischen Gedächtnisstütze gesucht. Was lag da näher als “die Kotelett”?

Was hab ich mich darüber gekränkt! Die Hänselei hat in der Verwandtschaft angefangen, als ich etwa drei war. Sie ging im Kindergarten weiter, und hörte in der Schule nicht auf. Erst im Studium wurde es besser. Na ja, ich hab’s überlebt, wie Sie sehen, und schliesslich und endlich hat sich der zuerst so verhasste Name als ein Vorteil erwiesen. Warum? Denken Sie mal scharf nach: Ich hab schliesslich einen Franzosen geheiratet! Aber das ist natürlich wieder ein Kapitel, oder sagen wir lieber ein Fortsetzungsroman, für sich…

Ob mir durch den Namen eine Art französischer Keim inocculiert worden war? Oder Mutters Erzählungen von Frankreich ihren Teil beigetragen haben? Egal, schon inder Volksschule (wie damals die Grundschule hiess) habe ich den Klassenkameradinnen schlecht verstandene französische Verschen ins Poesiealbum geschrieben, sodass mich unser Lehrer, Herr Oskar Platz, korrigieren musste. Ach ja, der Herr Platz, das war ein toller Lehrer! Einer von denen, die man gern behalten hätte: Überhaupt habe ich mit meinen Lehrern viel Glück gebabt, doch das , Sie wissen schon, …ist eine andere Geschichte.

Nach Elfriedes Tod 1983 haben wir natürlich erst mal Ordnung in den Papieren gemacht, denn der Familienarchivar war sie. Alles haben wir,glücklicherweise, nicht aufgearbeitet, sonst könnte ich nicht noch jetzt, nach mehr als 23 Jahren, ungeahnte Entdeckungen machen.

Dabei kam ein klitzekleiner Briefumschlag zum Vorschein, mit zwei Vistenkarten drin.

Die eine auf den Namen Emile (frz. für Emil) L., die andere war von Colette L., auf beiden dieselbe Adresse in Rennes. Und was glauben Sie, was geschah?

Nichts!

Ich habe den Namen des Departements Ille-et-Vilaine, von dem Rennes die Hauptstadt ist, auf den Umschlag geschrieben, und das Briefchen ist zurück in die Keksdose gewandert, wo wir es unter alten Photos gefunden hatten. Mama war ja tot, was sollte da eine erneute Suche, auch wenn ich mit meinem Mann und den Kindern im Elsass wohnte! Frankreich war gross, und die Bretagne war weit, und Colette, trotz Visitenkarten, eher eine Legende als ein lebender Mensch. Und lebte sie denn überhaupt noch? Elfriede hatte ja immer das Gegenteil angenommen und sich deshalb schuldig gefühlt…

1985 wurde Thierry für zwei Jahre auf die Insel Reunion versetzt : Das war noch ein bisschen weiter weg. 1987 bis 92 wohnten wir in Marseille, da kaufte Thierry seinen ersten Computer. Danach benutzte er ihn täglich, bald hatte er auch einen im Büro. 1992 zogen wir in die Pariser Gegend, 94 fing ich wieder an zu arbeiten. Ab etwa 1997/98 schrieb ich meine Klassenarbeiten und und anderes Lehrmaterial notgedrungen mit Word, weil die Schüler behaupteten, sie könnten meine handschriflichen deutschen “r” und “z” nicht lesen. Hm!!

Und dann kam Internet. Thierry war begeistert; ich fand die Sache praktisch, solange ich nicht selber surfen musste.

2001 starb Papa, 2003 lösten wir seinen Haushalt auf. Sämtliche Ordner, Schuhkartons und eben die Keksdose, voll mit Photos und anderen Familienpapieren, wurden bei uns in Schränken und Regalen verstaut.

Dort blieben sie, praktisch unangetastet, bis Frühsommer 2006. Zu diesem Zeitpunkt begannen wir, den Besuch meiner Kusinen Hannelotte und Inge vorzubereiten, die ich seit respektive 12 und 42 Jahren nicht gesehen hatte. Anlass für den Besuch war Inges Tochter, die unbedingt vor dem Abi ihr Französisch aufpolieren wollte. Sie hatte noch nie von uns gehört, und wir nicht von ihr, also haben wir uns daran gemacht, ihr auseinander zu setzen, wie wir eigentlich verwandt sind, und wieso ihre dreifache Urgrossmutter bei uns im Gästezimmer hängt.

Sie werden es erraten haben: Das war der Beginn unserer genealogischen Süchtigkeit. On-line fanden wir die Mormonen und Geneanet. Ich hatte eine Ahnentafel, von Elfriede handgeschrieben, die ich 1968 schon mal als Stammbaum auf Millimeterpapier übertragen hatte, Thierry hatte nichts.(Seitdem hat er mich glatt überholt, und ein paar hundert Vorfahren on-line gefunden, aber das…etc., etc. …)Und da waren Papas handschriftliche “Memoiren”, auf 200 Seiten DIN A5 Format mit kleinen Karos. Angefangen 1982, nach Mamas Tod liegen gelassen, und von mir, endlich, im September 2006 gelesen.

Sie waren der Anstoss für das Kapitel “Geschichten” auf unserer Homepage, aber der Anstoss für Kapitel zwei von Colettes Vornamen waren die beiden berühmten Visitenkarten, die ich ebenfalls im September wiedergefunden hatte. Dadurch kannten wir den Familiennamen meiner “Patin”, mit Geneanet, Glück und Thierrys Ausdauer entdeckten wir sie in einem Stammbaum, samt Vater und dem Rest ihrer Familie..

Auf Geneanet funktionierte bei dem Benutzernamen die E-Mail-Adresse nicht,doch da  stand glücklicherweise ein Name in Klartext. Ich habe ihn im Departement um Rennes im Telefonbuch gefunden, gleich drei mal, und einen nach dem anderen angerufen. Der erste war nicht zu Hause, aber der zweite -der zweite war der Richtige! Sehr freundlich war er, bestätigte alle unsere Vermutungen, es war einfach wunderbar!

Und dann die Ernüchterung: Colette ist nicht mehr am Leben! Schon länger, wann sie gestorben ist, weiss er nicht, er ist nur ein angeheirateter  weitläufiger Kusin. Aber in acht Tagen geht er zu einem Familientag, da wird er einen Vetter von Colette treffen, den letzten, der noch lebt. Er verspricht,uns einstweilen ein Photo von Colettes Familie zu schicken, er hält Wort. Die Aufnahme ist alt, sie zeigt Emile als jungen Mann, noch unverheiratet, mit seinen Brüdern, deren Frauen und Kindern, in der Mitte thront die Mutter, ehrfurchtgebietend, in einer bretonischen Spitzenhaube. Wir warten. Wieder eine Woche später kommt ein Anruf, am Apparat ist Colettes Schwester.

Nach 62 Jahren ist Elfriedes Suche abgeschlossen, die Verbindung wieder da. Wir können es kaum fassen. An diesem Samstag haben wir lange, lange miteinander gesprochen, seither haben wir uns Photos geschickt: Zum ersten Mal habe ich Colette, und ihre Schwester hat Elfriede gesehen.

Aber was sie mir erzählt hat, und was sonst noch ans Tageslicht kam, braucht ein eigenes Kapitel. Nur soviel will ich jetzt verraten: Wir alle glauben nicht mehr so recht an den blossen Zufall…

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